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  • Autorenbildvolmar.schmid

So - Stellen wir die Gretchenfrage!



Ich habe schon einige Male darauf hingewiesen, was das Leben meiner Kindheit besonders geprägt hat; über die Realteilung, die unser Gut über den gesamten Berg verzettelte und das Klima, dass uns zu einem einzigartigen Bewässerungssystem zwang, habe ich schon geschrieben. Heute möchte ich über die stärkste Macht unseres damaligen Lebens sprechen: die Religion, den katholischen Glauben, die «alleinseligmachende» Kirche. Heinrich Federer schrieb die Geschichte: «Papst und Kaiser im Dorf» von der Macht des Pfarrers und des Lehrers im Dorf. Der Lehrer hatte schon in meiner Jugend seine Macht eingebüsst oder er musste sie mit seinen Kollegen teilen, aber der Pfarrer blieb der Papst. Sein Wort hatte absolute Bedeutung, seine Macht war uneingeschränkt, er hat den Alltag in Mode, Kunst, Musik, Bildung, Arbeitsrhythmus bestimmt. Er bestimmte, wann wir Heuen durften, z.B. wenn an einem Sonntag im Sommer ein Gewitter drohte, er schlug vor, was wir Lesen sollten, bestimmte, welche Bild sich für eine Stube ziemten, sagte welche Kleidung die Mädchen zum Skifahren anziehen durften (sicher keine Hosen). Meistens «regierte» er mit dem Mittel von Verboten, er nannte es Gebote, sprach nie von sich, sondern immer von der «Kirche»; sagte nie, das tut dir gut, sondern immer «Gott wird dich strafen!» Mit der Beichte hatte er natürlich alle seine Schäfchen ständig unter Kontrolle. Die Kirche hatte uns nicht nur durch die vielen «Präsenzveranstaltungen» zeitlich und körperlich (tägliche Schulmessen, «Wärchtagsmäss», am Sonntag hiess es, zuerst um 7 Uhr zur Kommunion, dann um 10 zum «Amt», oft waren um 14 Uhr Vespern und abends noch die Andacht, dazu kam ein Pulk von Feier- und Festtagen, Bitt- und Bussprozessionen, Quatember- und Vigiltage, «Schgapulier»-, Heiligen- und andere Bruderschaftssonntage, teil und vollkommene Ablässe, Rosenkranz- , Morgen-, Tisch-, Abend-, Stundengebete, Fürbitten, Litaneien und natürlich beim «Bättuliitu» der «Änglischgrüess»; vergessen wir die fleischlosen Freitage und die Fastenzeit nicht) sondern auch durch einen vollkommene geistige Beschlagnahmung unter ihre «Fittiche» genommen. Alles hielt sie unter Kontrolle und im schlimmsten Falle konnte sie sich auf ihre «Leserreporter» (wie wir heute sagen würden) verlassen. Gefährlich waren nicht die Ungläubigen, die Heiden, die konnten bekehrt werden, dafür schickte man ja die «Weissen Väter» in die Welt hinaus, um sie zu retten und wir opferten brav ins «Negerli» unseren schmalen Göttibatzen, das sich nickend bedankte. Verloren waren die Mitchristen des Evangelischen oder Protestantischen Glaubens. Fragte einmal eine Frau ihre Nachbarin: «Wo ist denn jetzt deine Tochter?» Gibt die zur Antwort: «Die ist jetzt in Zürich bei den Pro-, Pro-, Prostituierten.» «Oh, hast du mich erschreckt, ich glaubte schon, bei den Protestanten!» Fast in jeder guten Stube hing ein Bild von «Jesus der gute Hirte», aber wehe, jemand benahm sich gegen die Norm, erlag z. B. der «Krankheit» der Homosexualität oder ein Mädchen wurde ledig schwanger, da wurde mit gnadenloser Härte gestraft und geächtet: Sünder hatten in dieser frommen Gemeinschaft keinen Platz – also, was heisst hier Sünder? So einfache Verfehlungen, wie Stehlen, Mord und Totschlag oder seine Frau prügeln, konnte man ja beichten, aber als ich dann feststellte, dass man das Gestohlene nach der Beichte eigentlich nicht behalten dürfte, hat der Reiz dieses Instrumentes stark nachgelassen.

Niemand wagte es damals, nach durchzechter Nacht, die Sonntagsmesse zu schwänzen, man besuchte «d Friiemäss» und ging anschliessen zum Schlafen nach Hause. Immer war das nicht eine sehr fromme Angelegenheit: so sollen mal zwei Törbjer nach einem tüchtigen Fest sich in die Kirche zur Frühmesse eingefunden haben. Sie schlichen sich auf die Empore, um nicht bemerkt zu werden. Prompt sind beide eingeschlafen. Plötzlich wachte einer auf, es war kein Mensch mehr in der Kirche; er schubst den anderen und meint: «Du, äss ischt leer!» «Bo de scheich i!» murmelt der andere im Halbschlaft. Auch ich ging später oft nach einer Fete in der Frühmesse, bis uns dann der Pfarrer, der vorher mit uns gefeiert hatte, in der Predigt die Leviten las, von da an habe ich dann bis zum Amt weitergefeiert.

Bürchen, 17. Mai 20

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