Bild und Geschichte 50
Meistens fand das Leben in der Küche statt, hier wurde gelebt: normalerweise Gegessen, Schulaufgaben gemacht, Gespielt, Geschichten erzählt, die Rute gegeben, einfach so das, was zum Alltag gehörte. Die Stube war für spezielle Fälle, sie war neben der Küche der einzige beheizte Raum in der ganzen Wohnung, sie war der Präsentierraum des Hauses. Gleichzeitig war aber sie auch das Elternschlafzimmer, bestückt mit einem hohen Walliserbett, bedeckt mit einer gewobenen «Uberwurfdechi» (gemusterte Wolldecke), daneben ein «Nachttischji» (Nachttischchen) mit aufklappbarem Unterteil und Schublade. Im Unterteil war der «Nachthafo» (Nachthafen) – Die Männer gingen zum Wasserlassen damals nie auf die Toilette, sondern machten in den Hafen, die Frau musste dann am Morgen als erstes den Hafen leeren, damit es in der guten Stube nicht stank -. In der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch mit sechs Holzstühlen. Der Tisch war unbenutzt mit einer schön gehäkelten Schmuckdecke bedeckt. Hatte man «Bsüech» (Besuch, Gäste hatte man damals noch keine), wurde er mit dem weissen «Tischtüech» verhüllt. In der Ecke war der «Giltsteiofo», er konnte von der Küche aus befeuert werden und enthielt eine Nische, in der wir Früchte trockneten oder an Weihnachten Orangenschalen dörrten, die einen wunderbaren Geruch verströmten. Neben dem Ofen war eine kurze Ofenbank – der beliebteste Platz beim «Aabusitzu». An der Wand hing immer eine Kreuzigungsszene, also das Kreuz mit Maria und Johannes, meist die beiden letzteren nur mit dem Kopf stilisierte dargestellt. Oft hing an einer Wand auch noch ein grosses Bild, zunächst war es eine Darstellung von «Jesus der gute Hirte», später wurde dieses Bild dann durch den «Röhrenden Hirsch» ersetzt: Kunst und Kitsch und unser Verständnis davon ist wieder eine andere Geschichte. Die «Welbi» wurde von zwei mächtigen «Binne» getragen, auf der einen stand «Diese Haus erbauten M. J. Imboden und Th. Schmid im Jahre 1910» auf der anderen «Gott schütze dieses Haus und alle die da gehen ein und aus» (Domherr Erwin Jossen hat zu solchen «Binnensprüchen» seine Dissertation geschrieben). Was natürlich in keiner Stube fehlen durfte, war das «Büffe», in ihm wurden im oberen Teil die Gläser und das «Sunntagsgschirr» mit dem «Silberbsteck» und unten die feinen Tischdecken und sogar Servietten aufbewahrt. In vielen Stuben stand an dieser Stelle auch ein «Sekretäär» (Buffetartiges Möbel), an ihm konnte man eine Klappe öffnen, auf der man die notwendigen Schreibarbeiten erledigen konnte. Hier wurden auch notwendige Dokumente aufbewahrt; viele «Sekretääre» enthielten auch ein «Gheimfach» in dem z.B. auch das wenig Bargeld aufbewahrt werden konnte. Die Mutter hatte für ihren Batzen meist in der Küche ein eigenes Versteck. Wir hatten in unserer Stube noch das «Radio»; die täglichen Nachrichten von Radio Beromünster waren bei uns fast eine Andachtsstunde; der Einfachheit halber blieben wir Kinder gleich in der Küche, denn Vater während seinem Mittagsschläfchen und den Nachrichten zu stören, wagten wir nicht. Wenn Wichtiges auf der Welt passierte, habe ich mich zu ihm gesetzt und mitgehört. An das erste Ereignis, an das ich mich erinnern kann, war der Ungarnaufstand 1956, den die «Komunischtu» brutal niederwalzten (UdSSR). Diese Kommunisten waren so effektiv (Die Schweiz nahm damals 40'000 ungarische Flüchtlinge auf!) und in meinen Augen solche Superkämpfer, dass ich ganz enttäuscht war, als mir mein Vater auf die Frage: «Hat denn die Schweiz auch Kommunisten?» antwortete: «Fast keine!»
Bürchen, 3. Juni 20
Bildquelle: Wohnmuseum Visperterminen
Comentarios