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Autorenbildvolmar.schmid

Chüedräckillu


Bild und Geschichte 38

Früher kam es uns heimelig vor, heute rümpfen wir die Nase, wenn wir den Geruch riechen: «Chüedräckillu». Wir waren früher so daran gewöhnt: in der Alpe schliefen wir in der Stube, direkt über dem Stall, durch dicke Ritzen konnten wir in den Stall hinunter schauen, aber durch die gleichen Ritzen stieg auch die warme vom Kuhmist gesättigte, aromatisierte Luft zu uns in die Stube. Mit der Zeit nahmen unsere Kleider diesen Geruch an und wir nahmen ihn überall mit. Im Dorfe waren Vieh und Mensch immer getrennt, so dass man nach dem «Hirtu» sich als erstes umzog, so konnte man den Stallgeruch vom Wohnbereich fernhalten. Oft schützte man sich mit einer grossen, gewachsten Schürze: die Schürze wurde nach dem Waschen mit einer Kugel mit Wachs eingefettet, so dass sie den Schmutz und Wasser abstiess (im Emmental nennt man das, «ds Gurlli fiengge», bei uns wurde dieser Ausdruck zu einer Redensart, «… ich will der de ds Gurrli schoo fienggu» mit der Bedeutung: ich will dir den Weg weisen – zeigu, waa der Zimmerma ds Loch gmacht het!» Nicht alle zogen sich aber um, in jedem Dorf gab es «Originale», die sich wochenlang nicht umzogen und nicht wuschen. Mit einer Duftwolke aus Kuh-, Schaf- und Schweinemist, Essensabfälle und Hausstaub, mit einer persönlichen Note aus Achselschweiss zogen sie durchs Dorf, freuten sich sehr darüber, immer und überall genügend Platz zu haben (die Corona Abstandsregeln wären für sie überhaupt kein Problem). So sagt das «Original» Fritz mal stolz: «Jetzt habe ich mein zweites Unterhemd wieder gefunden!» An Weihnachten, beim jährlichen Baden, sei es schon nach kurzer Zeit wieder hervorgekommen. Ja, Kleidung und Hygiene waren so eine Sache.

Mit der Morgentoilette machten wir uns als Kinder (wenn die Mutter uns nicht gerade beaufsichtigten) keine allzu grosse Mühe, eine Katzenwäsche genügte. Mitte der Fünfzigerjahre bekamen wir eine Badewanne und da mussten/durften wir einmal in der Woche baden; immer zuerst die beiden Mädchen, dann die zwei jüngeren Brüder und dann kamen wir zwei, selbstverständlich immer in Badehose, denn alles andere wäre unschicklich und am Schluss das Wasser bewies es, die Aktion war notwendig gewesen. Das Zähneputzen war auch so «an niwwi Mooda» mit der wir nichts anfangen konnten. Die «Frisüür» war schnell gerichtet, so alle zwei Monate nahm der Vater die «Haarmaschiina» (von Hand betrieben) heraus, legte den «Üffsatz 1» auf und «tschig, tschig» gings quer über den Kopf zu einer mehr oder weniger schön regelmässigen Einmillimeterfrisur. Da wir Kinder meistens die «Chappa» nicht trugen, war die Folge zunächst mal ein tüchtiger Sonnenbrand.

An Kleidung hatte man «ds Wäärchtagsgwant» und «ds Sunntagsgwand», im Winter lange Hosen und sobald es möglich war, trugen wir die kurzen Hosen, den unsere Knie heilten selbständig, die Hosen musste Mutter flicken. Am Sonntag trugen die Frauen meisten die Tracht, da hatten die verheirateten Frauen einen schwarzen Rock und ein schwarzes, mit schwarzen Seidestickereien verziertes «Schlutti» und dazu einen weissen bis cremefarbigen reich bestickten «Lumpo» (Kopftuch). An besonderen Festtagen trugen sie die Walliser Sonntagstracht. Die Männer hatten eine beige Drillichkleidung und immer «as Höütchleid» (Hauptkleid, Hut). Zur Ersten Kommunion und zur Firmung bekamen wir Buben eine neue Kleidung (die Mädchen trugen weisse Kleider mit weissem Schleier, diese brauchten sie auch an «Hergottschtagg» zum «Chränzlinu»). Zur Firmung mussten mein Bruder und ich eine neue Kleidung haben; am frühen Morgen marschierten wir nach Visp zum «Gabi» und wählten dort je eine Kleidung aus. Herrgott habe ich mich gelangweilt bis meine Mutter endlich die richtige Kleidung gefunden hatte, sicher fünf Stück musste ich anprobieren, und dann kann erst noch mein Bruder dran: furchtbar!

Dieser Horror vor dem Kleiderkauf ist mir bis heute geblieben: ich habe meinen Schülern immer gesagt, wenn ich mal in die Hölle kommen, sitze ich vor einem Berg Aufsatzhefte, korrigiere und korrigiere und nach Stunden kommt meine Frau und sagt: «Komm, du hast eine Pause verdient, wir gehen Hosen kaufen!»

Bürchen, 12. Mai 20

Foto: Ausserberg, auf dem Diesterbiel im Hintergrund Visp: Erstkommunion meines Bruders «Erni», rechts mein Vetter Hanspeter

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