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  • Autorenbildvolmar.schmid

Bienchen und Blümlein


Bild und Geschichte 49

Als Kinder fragten wir uns, was tuscheln die da, warum kichert die und woher kommt dieser rote Kopf? Die hatten Themen, Spässe, Dialoge von denen wir Kleine nichts verstanden und wenn man sie fragte warum es gehe, bekam man zu Antwort: «Nix, nix! Daa bischt du no z junge

Es ist gar nicht so einfach über etwas zu reden, über das man nicht spricht. So ein absolutes «Unthema» war früher die menschliche Sexualität. Von der Kirche aus war Geschlechtsverkehr nur bei ausdrücklichem Kinderwunsch vorgesehen; die Jungfräulichkeit war eine absolut schützenwertes Gut, die Familie heilig und doch war das ganze «Zeugs» um Geschlechtlichkeit schmutzig, sündig, ja am liebsten inexistent; noch zu meiner Jugend musste sich eine junge Mutter nach der Geburt, aussegnen lassen, damit sie wieder zur Gemeinschaft gehören konnte; sie war durch diesen allerureigensten Akt des Frau seins aus der Gemeinschaft gefallen. Eine ledige Mutter war die grösstmöglichste Schande für eine junge Frau und bedeutete absolute Ächtung, nicht etwa für den jungen Mann, sondern einzig und allein für die Frau. Etwas, das wir heute mit Empörung den archaischen Muslimen vorwerfen, etwas, das uns den Kopf schütteln lässt, etwas, das vor 50 Jahren bei uns gang und gäbe war. Als im Lehrerseminar bei der Lektüre ein Schüler auf das Wort «Fleischeslust» stiess und die Hand streckte und fragte, bekam er zu Antwort: «Fleischeslust ist die Lust Fleisch zu essen. Lis weiter!» Aufklärung fand nicht statt; irgendwie, im Umgang mit dem Vieh und hinter vorgehaltener Hand haben dann auch wir mitbekommen, wie der Hase läuft und vor allem, wie er sich vermehrt. Der kleine Fritz kommt zu den Eltern und sagt ganz entrüstet: «Ha, ich kenn jetzt die Wahrheit der Nikolaus ist der Vater, und das Christkind sind die Eltern und die Kinder werden geboren – und den Bohrer finde ich auch noch!»

Über Sexualität wurde nicht gesprochen, man deutete an, verwendete Faxen und Gesten, lachte verschämt. Es gibt, glaube ich, nirgends so viele Euphemismen wie in diesem Bereich. In St. German wirkte der alte, leicht lispelnde Kaplan XY; er soll mal auf der Kanzel seinen Schäfchen geschimpft haben: «Ja, dann kommen sie beichten; ich habe mit … geslafen! Ja, wenn sie sliefen, aber sie sliefen eben nicht!» Halt, über dieses Thema wird nicht gesprochen! Und trotzdem gibt es über nichts anderes so viele Wörter und Beschreibungen, teilweise Euphemismen wie: (mit jemandem) schlaaffu, liggu, ins Bett, ins Näscht gaa oder dann ganz brutal und schmutzig aus dem Tierreich: voglu, figgu, birschtu, tschüppu, pintlu, riitu, höpperlu… und dann wird der Wortreichtum fortgesetzt mit den Namen der dazugehörigen Körperteilen – ich poche hier nicht auf Vollständigkeit. Man merkt, hier geht’s ums Lebendige!

Als Philologe könnte ich jetzt hier noch seitenlang surfen, aber als Mensch ziehe ich das Schweigen als des Sängers Höflichkeit vor. Verklemmt wie ich erzogen wurde, schweige ich noch heute lieber!

Bürchen, 2, Juni 20

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