Bild und Geschichte 44
Ich habe mich erinnert und dann ging ich auf die Suche, irgendwo muss ich doch noch ein Tintenfass für ein Tintenklecksbild haben. Hei haben wir diese Tintenklecksbilder geliebt, ungefähr gleich viel, wie unsere Eltern sie gehasst haben; also nicht die Bilder, nein, die Sauerei drumherum und den Papierverschleiss. Wir brauchten dazu ein Blatt Papier, das lag früher nicht einfach so rum, meistens rissen wir einen Bogen aus einem unserer Schulhefte, dann goss man einen oder mehrere Tropfen Tinte in die Mittelfalte, legte das Papier zusammen und strich das Blatt mit der Hand; je nachdem ob man in die Breite, in die Runde oder in die Höhe strich, veränderte sich das Bild. Man faltete das Blatt wieder auf und fertig war das Bild – in Serie haben wir solche «Gemälde» produziert: jedes gleich und doch jedes anders, meistens einer «Pfifoltra» (Schmetterling) ähnelnd. (Rorschach hat aus diesen Bildern einen Psychotest entwickelt: je nachdem, was man in diesen Bildern sah, wollte er die Charakteren einer Persönlichkeit ablesen können, aber das ist wieder einen andere Geschichte).
Ich bin immer noch auf der Suche nach einem Tintenfass; wetten, sie finden bei sich zu Hause auch keines. Früher waren Tintenfässer in der Schule allgegenwärtig, auf dem «Schüelbäich» (Schulbank), dem «Leererpult», denn wir schrieben ja noch mit Feder und Tinte. Zu Hause war das Tintenfass meistens im «Sekretäär» eingeschlossen (die Sauerei lässt grüssen) und wir schrieben die Hausaufgaben entweder mit Kreide auf die Schiefertafel oder mit Bleistift ins Heft; gut so, denn vier, fünf Kinder mit Tinte am Küchentisch, das hätte eine Schlacht gegeben! Aber in der Schule, da schrieben wir mit der «Fädra» und «Tinta». Man nimmt eine spitze Metallfeder (Fädra), steckt sie in den Federhalter, tunkt sie in das Tintenfass, streift die überflüssige Tinte ab, damit man nicht schon auf dem Weg zum Schreibheft topft, dann beginnt man mit dem Schreiben, schön auf der Zeile, zart streichend im «Üffstrich», damit ja nicht der Federspitz einsticht und kleckst, und drückend, damit der «Abstrich» schön in die Breite geht (Schattenschrift, Deutsche Kurantschrift aber nicht mehr Sütterlin), aber nicht zu fest drückend, damit die Spitze nicht bricht. Das ist die Theorie! Ich sass in der zweiten und dritten Klasse links ganz hinten in der letzten Bank auf dem zweitbeliebtesten Platz des ganzen Schulzimmers und neben mir, auf dem beliebtesten, sass mein Schulkamerad Odilo (Volmar und Odilo, zwei Namensexoten damaliger Zeit, vgl. «Von heissen und rufen!»), und ich glaube, die damalige Sitzordnung hätte mehr hergegeben als ein Rorschachtest, denn Odilo war später lange Jahre Gemeindepräsident und ich hier neben ihm geduldet. War das Fach «Schöönschrift» an der Reihe, malte der Lehrer einen Buchstaben an die Tafel und befahl ganz gemächlich: «Eeerste Zeeilee!», das hiess für uns zwei: «Achtung, fertig, los!» und wir schrieben wie wild im Wettkampf, wer als erster die Seite voll hätte, dabei konnte man auf die Theorie nicht mehr Rücksicht nehmen, eiligst tunkte man die Feder ins Tintenfass, schwungvoll gings zurück zum Heft und dabei gabs dann oft «an Tolggo» (Klecks), «was einen!» manchmal eine ganze Zeile immer kleiner werdender Kleckse, aufpassen musste man, dass die Feder nicht brach, denn der hatte zum vorherein verloren. Wenn der Lehrer nun vorne am Pult befahl: «Zweeitee Zeilee!» begannen wir das Rennen auf der nächsten Seite. Mehr als zwei Seiten durften wir nicht «wetteifern», denn das wäre aufgefallen, wir brauchten auch so schon mehr Hefte als die anderen. Meistens hat Odilo gewonnen. Anschliessend begannen wir unsere «Tolggen» auszumalen und zu verzieren bis die Anderen auch endlich ihre Seite voll hatten. Wir konnten uns solches leisten, denn der Lehrer hat unsere Hefte nie angeschaut; erstaunt hat es mich aber doch ein bisschen, dass ich in «Schönschrift» und «Ordnung und Reinlichkeit» immer schlechte Noten hatte, und die Bedeutung der Sprichwörtliche Redensart: «… an Tolggo im… ha» ist mir auch erst viel später aufgegangen.
Bürchen, 26. Mai 20
Bildquelle: Habe doch noch in meinem Pult, zwar kein Tintenfass, aber eine alte Tintenpatrone gefunden!
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